Elias Holl: Bauen für Jahrhunderte

Augsburgs Altstadt ist schön. Zu verdanken ist das ihren Planern und Erbauern – allen voran dem berühmtesten unter ihnen: Elias Holl.

Titelbild
Das Augsburger Rathaus, erbaut von 1615 bis 1624 nach Plänen von Elias Holl, war bis 1917 in Deutschland das größte seiner Art.Foto: Richard Mayer, CC BY 3.0
Von 9. Juli 2023

Im Herzen seiner Heimatstadt feiert nun eine sehr sehenswerte Ausstellung den 450. Geburtstag des Renaissancebaumeisters. Bis zum 17. September zeigt das Augsburger Maximilianmuseum kunstvoll gezeichnete Pläne und Skizzen, große, vor Jahrhunderten gezimmerte Architekturmodelle, schriftliche Selbstzeugnisse Holls und faszinierende Kunstobjekte seiner Zeit.

Zusammen gewähren die Exponate spannende Einblicke in die Epoche und die Entstehungsgeschichte von Holls meisterhaften Bauwerken, von denen viele die Jahrhunderte überdauerten.

Holls prachtvolle Bauten im Augsburg von heute

Sie sind die größten und schönsten Ausstellungsobjekte und prägen auch heute das Bild der bayrisch-schwäbischen Metropole. In den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt, waren sie so tief im Selbstverständnis der Augsburger verankert, dass für die Bürger der geplagten Stadt ihr Abriss kaum denkbar war.

So leuchtete nach dem Wiederaufbau und leuchtet bis heute in Augsburg der Glanz der Renaissance, einer großen Blütezeit der Stadt, die als römische Stadtgründung auf eine jahrtausendelange Geschichte zurückblicken kann.

Nur einen Katzensprung vom Museum entfernt ragt das weltberühmte Augsburger Rathaus hoch empor. Die harmonischen Proportionen der klar gegliederten 57 Meter hohen Rathausfassade, die Präsenz und Wucht des kubischen Baukörpers, der von einem Langgiebel und zwei Zwiebeltürmen gekrönt ist, das sich in seinem Inneren bis hin zum prachtvollen Goldenen Saal stetig steigernde erstaunliche Raumprogramm – all das ist Zeugnis des schier unerschütterlichen Selbstbewusstseins des reichsfreien Augsburg im frühen 17. Jahrhundert.

Betritt man das Gebäude und steigt über repräsentative steinerne Treppen Stockwerk um Stockwerk hinauf, findet man sich schließlich im lichtdurchfluteten Prachtsaal unter einer unvergleichlich kunstvollen Saaldecke wieder, die in einer Höhe von 17 Metern über dem Betrachter schwebt.

Der Goldene Saal, gebaut nach Plänen des Augsburger Stadtbaumeisters Elias Holl,
ausgestattet unter anderem vom Stadtmaler Johann Matthias Kager. Nach Zerstörung im 2. Weltkrieg durch engagiertes, bürgerliches Ringen wieder originalgetreu rekonstruiert. Foto: Hullbr3ach, CC BY-SA 2.5

Größe, Proportionen und bautechnische Herausforderungen eines solchen Bauwerks konnten nur von einem vor Selbstbewusstsein strotzenden Meister geplant und realisiert werden.

Voller Selbstbewusstsein: Eine Stadt und ihr Baumeister

Die Augsburger Ratsherren fanden ihn in Elias Holl, einem Sohn ihrer eigenen Stadt. Im späten 16. Jahrhundert, am 28. Februar 1573 in Augsburg in eine Maurer- und Baumeisterfamilie geboren, lernt Elias Holl wie seine beiden Brüder beim erfahrenen Vater Hans Holl das Bauhandwerk und legt die Gesellenprüfung ab.

Als der Vater und Lehrmeister stirbt, übernimmt Elias, als ältester Sohn und gerade 20 Jahre alt, das väterliche Unternehmen. Er stellt – bald selbst Meister – unvollendete Bauaufträge fertig und nimmt neue an. Entwerfen und Bauen sind seine Leidenschaft.

Porträt des jungen Elias Holl, zeitgenössisches Gemälde eines unbekannten Malers, wiedergegeben in: „Die großen Deutschen im Bilde“ von Michael Schönitzer. Foto: public domain

Im Jahr 1600 zieht es ihn für elf Wochen nach Italien. Über Bozen und Padua reist er nach Venedig und besucht auf dieser Route die Bauwerke Andrea Palladios, des großen Baumeisters der Renaissance, der vor allem in Venetien nur wenige Jahrzehnte zuvor bleibende Maßstäbe für die Architektur gesetzt hatte.

Auch heutige Architekturbegeisterte verfallen der Schönheit, dem Charme und der harmonischen Ausgewogenheit der palladianischen Baukunst, die der oberitalienische Meister von antiken Vorbildern ableitete und in ganz eigener Weise weiterentwickelte. So begeistert Palladios Architektur vor über 400 Jahren auch den jungen Elias Holl.

Neue Ideen und schwebende Glocken

Inspiriert und voller Ideen kehrt er in seine Heimatstadt zurück und wird schon 1602 zu ihrem „Stadtwerkmeister“. In schneller Folge entstehen nun, um nur einige Bauwerke zu nennen, das prächtige Zeughaus für das städtische Waffenarsenal, die städtische Metzgerei, die sogenannte „Stadtmetzg“, Wehrhaftigkeit und Wohlstand ausstrahlende Stadttore und das Gymnasium Sankt Anna.

Detailansicht des Augsburger Zeughauses, errichtet nach Plänen Elias Holls von 1602 bis 1607. Das Hauptportal wird durch die Figurengruppe und Darstellung des triumphierenden Heiligen Michael des Renaissancebildhauers Hans Reichle gekrönt, Foto: Pedro from Maia, CC BY 2.0

1614 entscheidet sich der Große Rat der Stadt überraschend für einen Neubau anstelle des gotischen Rathauses und beauftragt Elias Holl mit der Planung – unter einer Bedingung: Die Glocken des gotischen Rathausturms müssen vorher eine neue Heimat im Zentrum Augsburgs erhalten. Holl hat die Lösung.

Er stockt den benachbarten Wach- und Aussichtsturm, den sogenannten Perlachturm, um Glockenstube und Zwiebelhaube auf, konstruiert dafür hohe hölzerne Gerüste und robuste Flaschenzüge und lässt die schweren bronzenen Glocken in neue schwindelerregende Höhen schweben. Halb Augsburg sieht dem riskanten und erfolgreichen Unterfangen vom Marktplatz aus zu. Die Bauarbeiten für das neue Rathaus können nun beginnen.

Kongeniale Teamarbeit und ungewöhnliches Selbstzeugnis

1620 ist der Baukörper, 1624 seine Innenausstattung im Stil der Renaissance fertiggestellt. Kongenial wirken hier Elias Holl und der Maler Johann Matthias Kager zusammen. Wie aus einem Guss wirken so Gebäude, Innenräume und Details. Wie aus einem Guss wirkt auch das Ensemble aus Rathaus und Perlachturm in ihrer Formensprache und Höhenentwicklung. In Holls erstaunlichen Vorschlägen, Planungen und Realisierungen zeigt sich immer wieder sein besonderer Wagemut.

Schnittzeichnung des Augsburger Rathauses mit dem Goldenen Saal
von Theodor Fischer (1862–1938), aus: Die Architekturzeichnung, von Winfried Nerdinger, Prestel, 1986. Foto: public domain

Jetzt, nach der Fertigstellung von Perlachturm und Rathaus, nutzt der immer Tätige die temporäre Ruhe, um – ungewöhnlich für seine Zeit – Zeugnis über seine Herkunft, seine Familie, seine Arbeit und sich selbst abzulegen.

Selbst aus einer weitverzweigten Familie stammend, hat er im Alter von 22 Jahren geheiratet. Acht Kinder werden ihm und seiner geliebten Ehefrau geboren. Nach ihrem Tod verliebt sich Elias Holl ein zweites Mal, heiratet und wird noch einmal Vater von dreizehn Kindern. Während er nun im Alter von 50 Jahren die Geschichte seiner Familie, seines bisherigen Lebens und Schaffens Revue passieren lässt, lehrt er schon längst einigen seiner Söhne das Bauhandwerk und bezieht sie in Entwurfsarbeiten mit ein.

Dunkle Wolken am Horizont

Weit von der blühenden freien Reichsstadt entfernt, hat sich jedoch im Jahr 1618 Umwälzendes ereignet, das bald auch Augsburg und seine Bewohner direkt und grausam betreffen sollte. Am 23. Mai hatte der sogenannte Prager Fenstersturz den verheerenden Dreißigjährigen Krieg zwischen den Bündnissen der Protestantischen Union und der Katholischen Liga ausgelöst.

Zunächst bleibt die mehrheitlich protestantische Stadt Augsburg von den dramatischen Ereignissen der Macht- und Konfessionskämpfe verschont, doch schon mit der einsetzenden Inflation 1622 und noch mehr durch die 1627 beginnenden Hungerjahre beschleunigt sich der Niedergang der Stadt.

Auch Elias Holl und seine Familie geraten in den Strudel des durch Machtgelüste immer weiter befeuerten Krieges. 1630 muss er als bekennender Protestant aufgrund des Restitutionsedikts des katholischen Kaisers Ferdinand II. seine Stelle als Stadtbaumeister verlassen. 1632, nach der Eroberung Augsburgs durch die protestantischen Schweden, wird er wieder eingesetzt, um dann drei Jahre später nach der Belagerung der Stadt durch die kaiserlich bayrischen Truppen wieder entlassen zu werden.

Gigantische Abgaben- und Soldforderungen der jeweiligen Machthaber haben Stadt und Bürger inzwischen an den Abgrund des Ruins getrieben.

Kulturelle Blüte: nur im Frieden

Am 6. Januar 1646 stirbt Elias Holl im Haus seiner Familie im Zentrum Augsburgs, nur 500 Meter von seinem Geburtshaus entfernt. Er hinterlässt seiner Heimatstadt ein bis heute faszinierendes kulturelles Erbe, das von Schönheit, bürgerlichem Gemeinsinn, meisterlichem Können, Tatkraft und allgemeinem Wohlstand erzählt, die allesamt nur im Frieden gedeihen können.

Ein echtes Standardwerk: Der reich bebilderte Katalog zur Ausstellung enthält viele spannende Texte und Quellen.
ELIAS HOLL
MEISTER WERK STADT
herausgegeben von Christoph Emmendörffer, Christof Trepesch,
24 × 31 cm, 672 Seiten, 770 Farb- und 23 SW-Abbildungen,
ISBN 978-3-7319-1358-0
erschienen im Michael Imhof Verlag. Im Buchhandel: 79,00 EUR
In der Ausstellung: 59,00 EUR

 



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